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Die Schachwelt in Moabit

Im Oktober 2015 war ich mit der Kamera bei der Weltmeisterschaft im Blitzschach und Schnellschach in Berlin dabei. In der ► Galerie sind die 100 besten Bilder ausgestellt.

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Der Andrang ist beträchtlich, Berlin will zu den Blitz-Stars – mehr als eine Dreiviertelstunde steht das Publikum an, um in den Spielsaal zu gelangen. Magnus Carlsen ist gekommen, um zwei seiner drei WM-Titel zu vertei­di­gen. Auf 94 Brettern macht die Elite den Titel unter sich aus.

Das hatte keiner gewusst, dass an der Turmstraße in Berlin-Moabit mit der Alten Bolle-Meierei so ein riesiger Veranstaltungsort zur Verfügung steht. Gegenüber am Landesamt für Soziales und Gesundheit stehen sich die Flüchtlinge die Beine in den Bauch, auf der anderen Straßenseite flitzt Peter Leko mit einer KaDeWe-Tüte in den Spielereingang. Wassili Iwan­tschuk betrachtet das Treiben der Passanten auf der größten Geschäfts­straße in Berlin-Moabit.

Schließlich sind wir drin. Auf der Bühne spielt Carlsen immer an Brett 1, wegen des norwegischen Fernsehens. Die Zuschauer stehen dicht gedrängt vor den Tischen, können aber nichts sehen. Es gibt auch keine Demonstrationsbretter und keine Informationen, wer diese Spieler sind.

Es gibt nichts zu sehen

Carlsen wollen alle sehen, aber ob sie auch Predrag Nikolić erkennen, der in der ersten Runde gegen den 24-jährigen Weltmeister antritt? Und sehen Sie auch, wie sich der gestandene Großmeister zusammenschieben lässt und nach 22 Zügen und die Uhr abstellt? Bekommt keiner mit. Will man etwas sehen, muss man sich die anderen Bretter anschauen, die links und rechts vom Mittelgang aufgebaut sind. Paarungen und Ergebnisse jedoch sind Mangelware für die Zuschauer.

Ein dpa-Fotograf nimmt vor der Zuschauermeute die MkIII mit dem 70-200 aus dem Rucksack und es geht leise „schk-schk-schk-schk„, wenn er immer wieder kurz draufhält. Nach 15 Minuten hat er alles im Kasten und er muss noch zu sechs anderen Terminen, wie er sagt. Meine Familie hat auch alles gesehen und lässt mich allein. Ab hinter die Absperrung!

Moves by Miss LovaLova

Ich sehe Maria Emelianova zum ersten Mal arbeiten und bin fasziniert. Geschmeidig pirscht sie durch die Reihen und scheut sich nicht vor Verrenkungen, wenn die Perspektive es erfordert. Im Nu habe ich einfach vom Beobachten neue Moves entdeckt. Es macht Spaß, mit ihr zu arbeiten. Ein Jahr später wird sie von Sergey Karjakin angeheuert als persönliche Fotografin bei der WM 2016 gegen Carlsen in New York. Also, diese Fotos würde ich gern sehen!

Maria lässt ihre teuren Objektive ohne Deckel einfach an der Wand unter der Heizung stehen, das bringe ich nicht fertig und habe sogar ein Kabelschloss am Trolley, aber meine Bewunderung hat sie. „Nobody takes it“, raunt sie mit dunkler Stimme. Wenn sie so spricht, will ich ihr alles glauben. Ein Jahr später bei der WM in New York aber geht das schief und ihr edles 85/1.2 wird gestohlen.

Der Anti-Sniper

Am nächsten Tag ist ein anderer Kollege von der dpa anwesend. Er hat eine D4s mit einer 400mm Haubitze im Anschlag und es geht wie bei Pepe Cuenca RATATATATATATATA im ⇒ Dauerfeuer. Der Kollege spielt wohl kein Schach.

Shooting analog

Aus reinem Vergnügen habe ich auch noch zwei analoge Apparate dabei. Mit der F5 und 85mm portraitiere ich Carlsen und mache vor einer Runde dieses Bild:

In der Spielpause dann noch mit Kodak Tri-X diese Szene:

Mit der Hasselblad stelle ich mich vor Rundenbeginn vor den 19-jährigen Daniil Dubov, auf den ich aufmerksam werde, als er erst Kramnik, dann Anand und später noch Ponomariov über den Tisch zieht. Drei Jahre später gehört er zu Carlsens Beraterstab beim WM-Kampf gegen Fabiano Caruana.

Dazu muss man wissen, wie eine Hasselblad klingt, wenn man auf den Auslöser drückt. Dieser ⇒Film gibt den Sound nur zart wieder. Aber eigentlich macht es KA!-FLAPP!! Ist schon etwas komisch, das einem Schachspieler zuzumuten, wenn er sich gerade auf die nächste Runde konzentriert, aber Dubov nimmt es gelassen und mag das Foto.

Im Allgemeinen sind alle Profis recht gelassen, nur Alexander Grischuk ist gestresst, weil alle ihn ansprechen, auch wenn er sich lieber konzen­trie­ren möchte. Am ersten Tag fällt sein Resultat unter den Erwartungen aus, am zweiten Tag holt er den Titel. Auch Kramnik erwischt einen seltsamen Start und scherzt darüber noch mit der NRK-Moderatorin. Eigentlich könne er einigermaßen blitzen, sagt er da. Er wüsste selbst nicht, was da so schief läuft. Auch er holt am zweiten Tag auf. Am Ende wird er Dritter.

Carlsen außer sich

Nicht ganz so gelassen nimmt es Magnus Carlsen, als er gegen Radjabov, Iwantschuk und gegen Grischuk verliert, NRK hat natürlich alles mitge­filmt. Leider wurde Evgeny Tomashevsky nicht gefilmt, als er in der Schlussrunde vom Weltmeister mit der Hillbilly-Variante attackiert wurde, als der Weltmeister das Projekt Titelverteidigung schon abschreiben musste.

Überhaupt nicht zum Lachen zumute ist Alexander Morosewitsch. Er landet unter ferner liefen – er ist krank, sagt er. Der Moskauer sieht selten fröhlich aus, doch eine dunkle Wolke hat sich auf sein Gesicht gelegt. Ich habe gerade nur die Analoge mit Schwarzweißfilm in der Hand, als Anand versucht, ihn anzusprechen. Moro ist kaum zu erreichen.

Vor der fünften Runde kommt Carlsen im Fußballerschritt den Gang entlang und steuert auf die Bühne zu, gleich spielt er gegen Tigran L. Petrosian. Ich habe drauf gewartet und das extreme Weitwinkelobjektiv auf zwei Meter justiert. Dann geht es ganz schnell, Carlsen kommt gerade den Gang hoch und er steht mir fast auf den Füßen, aber das Bild ist im Kasten. Mit einer Fußballer-Ausweichbewegung dreht er sich flott an mir vorbei und schon ist er verschwunden. Auf dem Bild sieht es aus, als sei er noch ein Stückchen entfernt, aber das ist der Weitwinkel-Effekt.

Auf den Weg zum Spitzenbrett: Magnus Carlsen

„This is me teaching Vidit“

Besonders gut gelaunt ist die Meute um Adhiban, Sethuraman, Sasikiran und Vidit. Einmal schaut Peter Leko vorbei und Adhiban begrüßt ihn mit „Na, nicht so einfach, oder?“ und alle sind fröhlich. Dann noch dieses Bild:

Auf dem Weg zur Player’s Lounge steht David Navara am Fenster und blättert in einem russischen Schachmagazin, unten sitzen Motylev, Karjakin und Lagno auf dem Sofa, Horst Metzing steht am Tresen und Maxime Vachier-Lagrave kaut auf einem Apfel herum.

„Found a new fighter!“

Später kommt Iepe Rubingh vorbei und schon verbreitet Mr. Schachboxen mit seiner sprühenden Aura jede Menge gute Laune. Selbstverständlich bekommt der Schöpfer des „Intellectual Fight Club“ ein Selfie mit Carlsen und postet es auf Facebook:


Foto: Iepe Rubingh

„Found a new fighter. Just took him under contract! Who wants to fight him?“

Auf der anderen Seite, in der Lobby für die Zuschauer, erklärt Jan Gustafsson, was auf den Brettern vor sich geht und dann ist dann noch Kirsan Iljumschinows Lobby, wo nur besondere Gäste empfangen werden. Aber der Ort der Stunde ist der Spielsaal, wo alles brummt.

* * *

Am Abend zuvor, beim Eröffnungsfest im Kino International, standen wir oben im Foyer, in dem auch „The Queen’s Gambit“ gedreht wurde, als zwei russische Militärs ihr zuprosten und sie den Wodka von dem Kellnerjungen ablehnt. Boris Spassky ist Ehrengast und er gibt sogar Interviews, obschon er aussieht, als könne er Ruhe gebrauchen. Aber er ist höflich und freundlich zu allen. Die Menge hält aber eine respektvolle Distanz bei.

Es gibt sogar eine Privatvorstellung von “Pawn Sacrifice”, der damals noch gar nicht angelaufen war. Zwischendurch treffe ich Yasser Seirawan und Maxim Dlugy. Wir kommen kurz ins Plaudern. Wie schätzen sie die Konkurrenz am nächsten Tag ein? Die beiden grauen Eminenzen fassen sich kurz und Seirawan sagt: “Da wir beide Jugendweltmeister waren, können wir mit Jungspunden gut umgehen.”

Yasser Seirawan, Maxim Dlugy: ‚We both were World Junior Champions so we know how to deal with the Juniors.‘

Cheers!

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