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Was halten Sie von "The Queen's Gambit"?

Die Netflix-Miniserie „Das Damengambit“ über das Schachgenie Beth Harmon ist gerade in aller Munde. Die Verfilmung sieht gut aus und macht Laune, hat natürlich auch ihre Schwächen. Ein perfektes Smalltalk-Thema für die Stehparty. “Und, was sagen Sie? … Ah, verstehe… Ich selbst?… Nun…“

Die Wohltat der schönen Produktion

Die Netflix-Produktion sieht wunderbar aus. “Das ist ja wie Mad Men!”, so der erste Eindruck. Nur schöner. Der Trailer zeigt, wie detailbewusst die Macher ans Werk gegangen sind: Schnitt, Ausstattung, die Farbnuancen des Films, Colour Grading genannt, Kostüme, Setting… da ist einiges aufgefahren worden. Und da es meiner Frau gefällt, muss es gut sein, denn sie sieht sich eine Menge an.

Das Schöne

Die Lichtstimmung in Elizabeth Harmons neuem Heim mit der verlassenen Adoptivmutter, die Pariser Szenen, mit Jolene im Flitzer, die Episoden in Vegas, im Keller mit Mr. Shaibel – das Filmteam hat die Möglichkeiten ausgekostet, beim Inszenieren einmal so richtig aus den Vollen zu schöpfen. Das merkt man und das überträgt sich auch.

Zu viele Drogen, zu viel Alkohol

Es ist nur eine Story, aber mir sind zu viele Drogen im Spiel und auch zu viel Alkohol. Drogen und Schnaps sind der verlässliche Weg, die nötige Schärfe am Brett zu verlieren. Das Zeug löst zwar keine Probleme, schafft aber interessante neue. Das ist zwar genau das Thema, allerdings ist ein Quentchen Selbstzerstörung ausreichend, um in der dünnen Höhenluft der Besten der Besten einen merklichen Druckabfall zu erleben. Geschichten über den Überschwang beim Schach sind selten, kommen aber vor (hier und hier).

Das Apollinische, das Dionysische und die Ausschweifung

Friedrich Nietzsche hätte es gemocht, denn durch Cowboy Benny und auch durch die fröhlich feiernden Russisch-Studenten entdeckt Beth sich als Mensch mit Bedürfnissen. Zu Beginn musste sie auf ihre Rationalität vertrauen, um überleben zu können (krass: als ihr die einzige Erinnerung, das bestickte Kleid, im Waisenhaus gleich zu Anfang verbrannt wurde). Dann aber holt sie das Dionysische nach und folgt der Neugier, als sich ihr die Gelegenheit bietet. Auch die Adoptivmutter bahnt ihr einen Weg in die Welt der Verlockungen – und lebt ihr die Kehrseite davon vor. Der Film zieht die Figur aus dem bunten Trubel in die finstere Selbstzerstörung. Harmon versucht, sich mit Alkohol auszulöschen, und fast gelingt es ihr sogar. Schließlich ist sie durchs Waisenhaus zur Tablettensucht gezwungen worden.

Benny gibt es nicht

Thomas Brody Sangster als Benny Watts und Anya Taylor-Joy als Beth Harmon

In einer konventionellen Erzählform bekommt ein männlicher Held dieser Art eine Frau zum Spielen, bei “The Pawn Sacrifice” über Bobby Fischer war es eine fröhliche Prostituierte aus Santa Monica. Harmons Herausforderer heißt Benny Watts und läuft herum wie ein Billy the Kid. Er ist frei und hat eine Meinung. Er weiß viel und verstrickt sich in Abenteuer. Erst durch die Begegnung und die Auseinandersetzung mit ihm wird sie komplett. 

Das gefällt mir gut, doch der Bezug zum Schach verliert sich für mich dadurch leider. Aber als Zuschauer träumt man gern mit und bleibt dran. Seien wir keine Pharisäer, wir werden keine Mängelliste zücken und Punkt für Punkt abhaken. 

Im Schach ist es tatsächlich so, dass uns die Begegnung und die Auseinandersetzung mit Persönlichkeiten reifen lassen. Das können Kollegen im Club sein, Freundschaften, der ewige Widersacher und wer weiß, vielleicht sogar Romanzen? 

Der Widersacher und die historische Detailtreue

Der coole Fuchs bei der Arbeit: Marcin Dorocinski als Schachweltmeister Wassili Borgow

Der coole Fuchs bei der Arbeit: Marcin Dorocinski als Schachweltmeister Wassili Borgow

Einige Kommentatoren sagen, die Romanfigur Beth Harmon sei stark an Bobby Fischer angelehnt, und die des sowjetischen Widersachers Wassili Borgow an Boris Spasski. Na gut, wenn es so ist, dann brauchen wir nicht lange über Detailgenauigkeit oder historische Treue zu reden. Alles Quatsch. Schon das mit dem Alkohol. Wenn einer ausschweifend sein konnte, dann hat sich Spassky weitaus mehr herausgenommen als Fischer. Aber darum geht es nicht, denn es ist eine Story. Welcher Schachroman ist historisch genau? Und warum sollte er es sein? (Anmerkung: Den Carl-Schlechter-Roman von Glavinic habe ich nicht gelesen).

Ein Vorbild für die Romanfigur kann auch die schöne Lisa Lane gewesen sein, aber der internationale Erfolg blieb ihr verwehrt.

Schon bei der Vorpremiere von “Pawn Sacrifice” im Berliner Kino International sagte Boris Spasski, der Film sei „schrecklich. Da ist Hollywood wirklich kollabiert. Die bringen die ganzen Fakten durcheinander.“ In „The Queen’s Gambit“ ist Spasski wiederzuerkennen in Wassili Borgows stoischer Haltung bei der Arbeit und in der Coolness, mit der dieser Champion am Brett sitzt. Auch wie er auf dem Weg zum Fahrstuhl die Konversation mit seinen Leuten  abbindet (“Sie soll trinken, hört man.” Borgow: “Sie wird alles tun, um nicht zu verlieren.”)

Was war da eigentlich im Hotelzimmer?

Etwas überarbeitungsbedürftig bleibt die Hotelzimmer-Episode in Vegas mit Townes (toll: die Idee mit der Rollei), als sie sich näher kommen und es zu ahnen ist, dass Beth sich ein wenig mehr erhofft als ein bloßes Interview – bis schließlich Townes Freund hereinplatzt. Später, beim Finale in Moskau, erklärt Townes, sie habe sein Herz gebrochen. Wie ist das gemeint?

Im Gespräch mit dem Magazin Salon sagt die Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy etwas sehr Wichtiges: “I think that’s something that is very confusing for human beings. Some people are desperate to label things because the truth is so much more confusing and frightening,“ she says. „There’s so much energy between people, and sometimes it’s romantic and sometimes it’s not, and that doesn’t make it any less special. It just means that it’s harder to categorize.“

Mir gefällt, dass die Ereignisse rund um die Sexualität und die Liebe nicht bis in die Einzelheiten ausgedeutet werden (der Sex mit Billy zählt nicht). Hat sie was mit Cleo? Liebt sie Townes? Was ist das für ein seltsamer Wortwechsel in Moskau? Egal! Was wirklich zählt, ist das echte Gefühl. Die Empörung, die sie auf Shaibls Totenfeier empfindet, die Katharsis, die sie bei der Rückkehr in seinen Keller spürt. Die Bindung zu Jolene. Da schlägt die Stunde der wahren Empfindung.

Die Katharsis

Jeder kämpft für sich allein. Das lernt Beth brutal und schnell. Später sagt ihr Billy, das Geheimnis der Russen läge im Kollektiven. Wenn sie zusammen unterwegs sind, helfen sie sich gegenseitig (vergl. Curaçao 1962). In der Ära des sowjetischen Nachkriegsschachs wurde die Rolle des Sekundanten und der Trainers erst so richtig definiert. Um Beth herum sind lauter Einzelkämpfer. Und sie hat erst Erfolg, als ihre verstreute Schar den Individualismus ablegt und sich zu einer Einheit formiert, die ihr bei der Hängepartie hilft. Eine schöne Botschaft. Zuvor folgt die Katharsis im Keller bei der Wiederbegegnung mit Shaibls Räumen. Danach vermag sie das Wesentliche im Leben zu erkennen.

Das stereotype Leben vom Einzelgänger zum Star

Gut, da müssen Schachgeschichten wohl durch. Der Junge, der als Vierjähriger nur zuschaute und dann später in die Partie des Vaters eingriff (Papa, Halt! Du verlierst den Springer! – Morphy, Capablanca, Kasparow), das Wunderkind gegen den Rest der Welt (Fischer) und so weiter. Soweit das Klischee. Mir gefiel dieser Aspekt bei “Pawn Sacrifice” besser, auch wenn zugegebenermaßen der Charme der Provinzturniere von “The Queen’s Gambit” sehr schön eingefangen wurde (Die Warnung des Turnierleiters in Kentucky: “Da haben mehrere 1800!” ist aber unfreiwillig komisch). 

Das Finale in Moskau

Hat mir nicht so gut gefallen. Der Großmeister-Pudel war zwar nett und brachte den seelenvollen Aspekt mit hinein, störte aber eigentlich nur. Mehr Typen wie Geller, Korchnoi, Benkö und Miles wären toll gewesen. Tal! Najdorf! Auch jener Top-Spieler, der nur unter Krämpfen aufgeben konnte, ist für die damalige Zeit fehl am Platze (vergleiche heute: Gesicht abwenden und labbrig runterhängende Hand hinhalten wie bei Nakamura und vor allem Nepomnjaschtschi). 

Das wäre beim Provinzturnier akkurater gewesen. Heute erleben wir diese Eigenheit vor allem im Netz, wenn gedemütigte Spieler die Zeit ablaufen lassen anstatt aufzugeben, denn insgeheim, hoffen sie, könnte es ja sein: “Was man nicht aufgibt, hat man nicht verloren”. 

Auch hatten die Drehbuchautoren offenbar Mühe, den Handlungsverlauf mit der zart angedeuteten möglichen Romanze mit Townes abzubinden. Geschenkt. 

Sehr gut aber hat mir der Schluss gefallen in Moskau (Karl-Marx-Allee, Berlin). Beth Harmon is coming come.

Die unausweichlichen Details

Beth Fischer-Morphy und Billy the Kid beim Kindergeburtstag

Aufs Kritteln kann leider nicht vollständig verzichtet werden. Ich nehme viel hin, das seltsame US Open in Vegas zum Beispiel, die Billy-Figur, diese ständige falsche Übersetzen der deskriptiven Notation. Seien wir großzügig! Es ist nur eine Geschichte.

Was mir aber unverständlich ist, also komplett unverständlich: Wie kann sich so eine tolle Crew zwei der besten denkbaren Advisors schnappen, nämlich Garri Kasparow höchstselbst und Bruce Pandolfini, und dann die Schauspieler derart ungelenk die Figuren führen lassen? 

Meine Frau glaubte anfangs, das sei extra so gemacht, weil es ja die junge Harmon zeigt, die noch nicht mal weiß, was man mit der Uhr anstellt. Aber das ungelenke Hantieren blieb so bis zum Finale! Das hat “Pawn Sacrifice” um Welten besser hinbekommen. Auch dieses Gegner-Anstarren nach jedem Zug, was jeder Teilnehmer eines U10-Turniers lange hinter sich gelassen haben dürfte, musste wohl aus dramaturgischen Gründen hineingepresst werden. Offenbar glaubte man, auch Nicht-Schachspieler brauchen sichtliche Dramatik. Zumindest stören sie sich nicht an falschen Gesten.

Um die Dinge geradezurücken: Garri Kasparow hat eine exzellente Arbeit abgeliefert, denn er war für die Auswahl der Partien zuständig – allein schon die Partie Neschmetdinow gegen Kasparjan

Bruce Pandolfini (siehe auch hier und hier), dem Ben Kingsley in “Searching for Bobby Fischer” ein Denkmal gesetzt hatte  war wohl nur selten am Set oder konnte sich nicht durchsetzen, denn dann hätte er den Schauspielern zeigen müssen, wie Schachspieler ziehen und wie sie dabei ganz bestimmt nicht aussehen.

Und keiner soll sagen, aus schnitttechnischen Gründen sollten die Spieler so schnell ziehen, denn das hat “Pawn Sacrifice” vorgemacht, wie Cutter zaubern können, wenn auch die Züge erst nach Ewigkeiten folgen.

Fazit

Danke, es war ein Vergnügen.

Nachträge:

Über die Filmorte – besonders interessant: Die Orte in Berlin! Unbedingt lesenswert.

 

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