Boris und der Springer
Spieler, die noch nicht so lange dabei sind oder gerade erst angefangen haben, Schach zu spielen, tun sich mit dem Springer häufig schwer. Diese Beispiele sollen den Zugang zu dieser eigentümlichen Figur und seine Gangart etwas näherbringen. Ein Ratgeber, um dieses Tier ein bisschen besser zu verstehen.
Wenn Fabian und ich im Park blitzen und Boris kommt vorbei, dann setzt sich der 90-jährige Veteran gern dazu. Diesmal habe ich den Labrador der Nachbarin dabei. „Wie viel frisst er?“, fragt Boris. „Nach dem Krieg hatte ich einen Schäferhund. Jeden Tag hatte er ein halbes Kilo Fleisch gefressen.“ Mit raspeliger und brüchiger Stimme spricht er ruhig und blickt kurz zur Seite. „Das war teuer in Russland nach dem Krieg.“ Boris hat im Leben schon einiges erlebt und weiß eine Menge.
Nach kritischen Momenten kommentiert Boris gern zustimmend oder abschätzig mit einem kurzen Geräusch. Eine Pointe mit dem Springer hatte gerade einen Angriff beendet. „Mit der Dame können alle spielen“, sagt Boris schließlich. „Mit dem Turm auch, das ist einfach… aber die wichtigste Figur“, bemerkt er und hebt die Augenbrauen, „die entscheidende Figur ist diese hier.“ Boris hält den Springer aus unserer Partie in seiner 90-jährigen Hand und schaut mich an. „Daran erkennst du, wie jemand spielt.“
Springerfreuden und Springermühen
Von Anand heißt es, Mittelspiele mit Springern gegen gegnerische Läufer seien seine Spezialität, und Großmeister Serper hat als Schüler im Unterricht im Kopf Springerrouten durch das ganze Brett berechnet, wobei er jedes Feld nur einmal berührte. Leider finden es viele Anfänger und unerfahrene Spieler schwierig zu verstehen, was diese Figur durch ihre besondere Gangart charakterisiert.
Fundamental: Der Springerkreis
Steht der Springer zentral, so kann er auf acht Felder ziehen. Steht der Springer auf Schwarz, landet er auf weißen Feldern und umgekehrt. Ein Springerzug lässt sich als Winkelzug beschreiben oder wie ein großes L. Manche sagen auch, der Springer zieht ein Feld schräg und ein Feld gerade. Beides stimmt, Ihr Geschmack entscheidet, was für Sie am besten passt.
Der Oktopus: In der Mitte am effektivsten
In den inneren 16 Felder des Brettes kann der Springer acht Felder erreichen. Am Rand sind es weniger – im besten Fall hat er vier Felder, manchmal auch nur drei. In der Ecke bleiben ihm nur zwei Felder. Je weiter am Rand, desto weniger Felder kann er mit einem Zug erreichen. Im Eckfeld sind es nur zwei Felder. Im Quadrat der inneren 16 Felder kann er wie oben zu sehen acht Felder erreichen.
Es gibt viele berühmte Partien, wo der Oktopusspringer auf der sechsten oder dritten Reihe (wenn es ein schwarzes Pferdchen war), den Kampf entschieden hat. Sehr bekannt ist die 16. Matchpartie vom 2. WM-Kampf Karpow-Kasparow (Moskau 1985). Hier hatte Kasparow im 16. Zug den Springer von b4 nach d3 gezogen. Sehr zum Unbehagen Karpows.
Der Weiße hatte in dieser Partie wenig zu lachen und musste bald aufgeben.
(Zum 17. Zug Sa3-b1 bemerkte Rudolf Teschner in der Deutschen Schachzeitung damals lakonisch: „Der Springer kam von g1.“)
Botwinniks Krake legt Donners Schwerfiguren lahm
Ein weiteres Beispiel, in der ein Oktopus-Springer dem Gegner Hände und Füße gebunden hatte, ist Botwinniks Partie gegen Donner in Amsterdam 1963:
Raum und Zeit gekrümmt
Keine Astrophysik: Der Springer erreicht die Felder des Schachbretts nicht in einer linearen Achse wie etwa der Turm oder der Läufer. Steht er in der Ecke auf a1, so erreicht er nur zwei Felder in einem Zug (blau markiert). In zwei Zügen erreicht er die Felder in Grün. Für die gelben Felder braucht er von a1 drei Züge. Orange: Vier Züge, Rot: fünf Züge und Purpur schließlich das Feld gegenüber, welches er erst in sechs Zügen erreichen kann. Es ist gut zu erkennen, dass Felder, die näher am Springer sind, teilweise für ihn langsamer zu erreichen sind als einige Felder, die weiter entfernt liegen. Im ersten Beispiel ist das Feld nordöstlich orange, im zweiten Beispiel schon grün, weil es über a3 zu erreichen ist.
Stellt man den Springer nur ein Feld weiter nach rechts, sieht die Welt für ihn schon ganz anders aus:
und weiter:
und schließlich im Zentrum:
Besonders im Vergleich der Startpositionen a1 zu b1 zu d1 erkennt man, wie das ganze Muster mit dem Springer nach rechts wandert. Und im Vergleich zu den Randspringern sieht es für den Springer im Zentrum komplett rosig aus. Nur für fünf Felder muss er vier Mal ziehen.
Schöne Übungen für Einsteiger
Springerzüge sind kein Hexenwerk, und den flotten Umgang mit Springern können auch schon Kinder – aber natürlich auch Erwachsene – sehr gut üben auf der kostenlosen Website lichess.org (über die ein anderes Mal in Planet Schach mehr berichtet wird).
Mit Bildschirmübungen dieser Art kann man als Einsteiger gut loslegen. Irgendwann hat man einen Blick für die Möglichkeiten des Springers und man sieht die Züge automatisch. Sehr gut kann das zum Beispiel Alexandra Kostenjuk.
Nach dem lichess-Einsteigerprogramm geht es gleich weiter mit einem Gratis-Programm auf dem kommerziellen Schachserver chess.com mit zwei Einsteigertrainings – gewinnen Sie gegen den Computer und gehen Sie Ihr Tier bewegen:
und noch eine Postion:
Der Springer und die Forschung
Für jene, denen das alles nicht fortgeschritten genug ist: Die Möglichkeiten des Springers haben auch Mathematiker herausgefordert. Manche haben Formeln entwickelt, die das „Springerproblem“ lösen helfen – was der russische Großmeister Grigory Serper als Schüler während des Unterrichts im Kopf löste, wie er mal in „New in Chess“ berichtete. Wikipedia hat dem Forschungsstand eine eigene Seite gewidmet.
Im Schachpark ist es jetzt zu kalt geworden, und ich werde Boris wohl erst im Frühjahr wiedersehen. Außer, wir begegnen uns irgendwo zwischendurch. Ich hoffe, er kommt gut über die Runden und freue mich drauf, wenn er sich wieder zu uns setzt. Mal sehen, was er dann so zu berichten hat.