Radio. Schach. Dunkel.
Das Schach-Dramolett aus der Vor-Streaming-Ära: Wie es dazu kam, wie das Stück entstand und was es mit allem auf sich hat.
Vor zwanzig Jahren war in der Zeitschrift “Schach” ein kurzes Theaterstück erschienen. Geschrieben wurde es im Januar, draußen wurde es schnell dunkel, das Turnier in Wijk aan Zee war gerade gelaufen. Ich hatte gerade Zeit und schrieb das Stück aus einer Laune heraus auf. Unter Autoren-Kollegen zeigte ich es herum, es sollte einfach Spaß machen. Leider spielte nur einer dieser Autoren Schach, und ich dachte, vielleicht sollte ich es auch „Schach“-Redakteur Dirk Poldauf zu lesen geben. Möglicherweise würde es ihn freuen.
Also schicke ich ihm den Text via Mail und kurze Zeit später folgte die Reaktion: es werde veröffentlicht. Das hatte ich eigentlich gar nicht beabsichtigt, aber gut, dachte ich. Sie können ja selbst entscheiden.
Der Euro kam erst zwei Jahre später
Statt im Archiv unterzugehen, soll es an dieser Stelle abrufbar sein. Im Jahr 2000 war noch ein Webbrowser namens Netscape 4.0 aktuell – das Betriebssystem Windows XP kam erst ein Jahr später auf dem Markt, vorher waren die meisten mit Windows 95 unterwegs, Apples „iMac“ war das heiße Ding mit OS X, und kaum einer hatte ein Funktelefon. Nokia hatte gerade das erste Handy ohne externe Antenne auf den Markt gebracht. Der Rückkampf von Deep Blue gegen Kasparow war erst drei Jahre her und die meisten gingen noch via Modem ins Internet. AOL war noch eine gängiger Internet-Provider und übernahm den Medien-Giganten Time Warner. Im Jahr 2003 wurde AOL aus dem Firmennamen wieder gestrichen. Die Autos sahen ► so aus. Der Euro wurde als Bargeld erst im Jahr 2002 eingeführt, davor gab es noch die Deutsche Mark. Abbildung des im Text erwähnten 500-Mark-Scheins:
Zum Text: Da es nur als Spielerei gedacht war, hatte ich wenig Scheu vor Übertreibungen. Ich habe den Text aber jetzt leicht überarbeitet. Es taucht auch immer wieder das Wort “Räuspertaste” auf. Eine Erklärung findet sich zum Beispiel auf Wikipedia. Bei der Recherche fand ich jetzt heraus, dass der Talkmaster Alfred Biolek, der sich wohl sehr oft räuspern musste, sich für seine Moderationen einen Sessel mit eingebauter Räuspertaste präparieren ließ. Außerdem weiß ich bis heute nicht, ob Stephan Kappus oder Michael Dreyer es je erfahren haben, dass ich ihnen dieses Stück zugeeignet hatte.
Turniere ohne Livestreams
Heutzutage denken junge Leute vielleicht, dass es keine Turniere ohne Liveübertragungen gegeben haben mag. Weit gefehlt! Möglicherweise gab es Radioreporter wie bei „The Queen’s Gambit“, aber wohl eher nicht. Aber weiß man’s? In der Generation Livestream ist das Geplaudere normal geworden, und manches ist exzellent, so wie die Liveübertragung gerade vom Skilling Open mit Magnus Carlsen und der Créme de la Créme.
Wie alles anfing
Aus Spaß hatten „Schach“-Herausgeber Raj Tischbierek und ich mal Ende der 90er eine Schach-Sendung fürs Internet produziert – vielleicht waren es nur zwei Folgen, aber es war sehr interessant und hatte Spaß gemacht. Stilbildender Vorreiter war damals seit 1998 Diagonale TV auf Französisch. Da hätte man auch dranbleiben können. Vor ein paar Jahren hatte ich eine Art „Doppelpass“ zum Thema Schachbundesliga entwickeln wollen, doch die Zeit bei Chessbase war zu kurz, um Formate dieser Art realisieren zu können. Legendär sind die Pioniertaten der Chessbrahs, die inzwischen überall kopiert werden. Gestern habe ich die – sagen wir – schachphilosophische Stammtischrunde ChessDojo gesehen. Auch eine gute Idee. Inzwischen sind die Produktionsmittel für Sendungen Allgemeingut geworden. Streamen lässt sich von fast überall. Sogar mit dem Handy vom Flughafen aus.
Vor zwanzig Jahren war das alles noch Science-Fiction. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.